schrift
Cafe Wien

Cafe Wien, Petit Point auf Leinen, ca 16 x 12 cm

Abbildung in Originalgröße

Vorlage

Petit Point

Einige persönliche Anmerkungen

Meine Großmutter liebte ihre zahlreichen „Gobelengs“, die sie auf vorbedrucktem Stramin mit Wolle in Gobelinstich und/oder Petit Point ausstickte. Ich erinnere mich vor allem noch an den „Armen Poeten“, den sie mir Anfang der 80ziger Jahre stolz nach Fertigstellung vorführte. Ich war sprachlos. Für mich (ich studierte Textildesign und hatte weder Humor noch Toleranz) waren gestickte Gobelins indiskutabel und der Inbegriff von Kitsch, und dann auch noch ausgerechnet dieses erbauliche Kunstwerk des Biedermeiers! Ein Gobelin, das waren für mich gewebte Wandteppiche nach dafür entworfenen meisterlichen Vorlagen, gestickte Gobelins sah ich als allenfalls billige Imitate.

Heute habe ich dazu eine andere Meinung und sehe eine ganz eigene, unverwechselbare Form durch die Möglichkeit, ein Motiv mit doch recht groben textilen „Punkten“ in einem festen Raster mit einer begrenzten Farbanzahl darzustellen. Trotzdem bin ich immer noch kein Freund von einfach nur reduzierten Gemälden in gestickter Form. Aber das ist  meine persönliche Einstellung, über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten. Die Menschen sind glücklicherweise verschieden.

 Der arme Poet existiert leider nicht mehr, ich hätte ihn sehr gern geerbt.

Gobelins sind nicht nur häuslich angefertigte Imitationen großer Meisterwerke, Petit Point ist mehr als meine geliebten biedermeierlichen Rosen. Die Geschichte dazu ist sehr vielfältig, auch wenn heute Rokoko und Biedermeier als Antiquitäten überwiegen. Petit Point-Stickerei war neben der klösterlichen und gewerblichen Arbeit vor allem eine Beschäftigung der adeligen Damen zumindest seit der Renaissance, zahlreiche Königinnen und Prinzessinnen finden sich in den Texten. Daraus könnte sich die weite Verbreitung des Petit Point im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild des Rokokos erklären, als das aufstrebende Bürgertum dies als eine standesgemäße Betätigung für die gutgestellte Frau betrachtete. Der adelige Petit Point wurde bürgerlich. (siehe auch: Berlin Work)

Bei meiner Suche im Internet nach Petit Point bin ich auf Penelope gestoßen, die Gattin des Odysseusin der griechischen Mythologie. Was hat Penelope mit Petit Point zu tun?

 

Penelope

Penelope und Telemachos, um 440 v.Chr.

Malerei auf einem Skyphos, Museo Civico, Chiusi

 

Während der Zeit der Irrfahrten des Odysseus wurde Penelope von zahlreichen Freiern bedrängt, sie zu heiraten. Sie hielt sie mit dem Vorwand hin, sie müsse zuerst ein Leichentuch für ihren Schwiegervater fertigen. Um die Fertigstellung zu verzögern, trennte sie die Arbeit des Tages nachts wieder auf und begann jeden Tag von neuem, bis sie verraten wurde. Deshalb gilt Penelope als Sinnbild der treuen liebenden Gattin. Bei Homer findet sich im Text nur der Webstuhl, ebenso wie in der Abbildung von 440 v. Chr. Über das Sticken habe ich nichts gefunden.

Also, was hat Penelope nun mit Petit Point zu tun? Vermutlich ist die Tapisserie gemeint. Aber es haben sehr viele Frauen in der Mythologie gewebt, warum dann gerade Penelope? Mir gefällt eine andere Deutung besser: Petit Point (oder Tapisserie) als Sinnbild der häuslichen Betätigung und Treue, wenn die Damen auf ihren zugigen Burgen Wappen stickend auf die Rückkehr ihrer ritterlichen Kreuzfahrer warteten.... Ich kann diese Interpretation nicht historisch belegen, finde sie aber nicht unpassend!

1.9.2002